Die Reform des Insolvenzrechts greift zu kurz

Die Reform des Insolvenzrechts greift zu kurz

 

Kleineren Unternehmen wird es schwerfallen, von dem geplanten Schutzschirm bei drohender Zahlungsunfähigkeit zu profitieren.

 

Quelle: Handelsblatt 24.03.2011, Peter Reuter, Köln

 

Viel vorgenommen hat sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit der Reform des Insolvenzrechts. Doch drängt sich der Verdacht auf, dass das Gros der Unternehmen davon ausgeschlossen bleibt. Ein „Mentalitätswechsel für eine andere Insolvenzkultur“ lautet das Ziel, der Schuldner soll eine zweite Chance erhalten. Dass das als Regierungsentwurf vorliegende Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) dem Anspruch gerecht wird, bescheinigen Fachverbände. Doch der Teufel steckt im Detail.

 

 

Ansetzen soll der Entwurf dort, wo die seit 1999 geltende Insolvenzordnung (InsO) schwächelt. Das ist  die fehlende Planbarkeit des Verfahrens für Gläubiger sowie die Angst des Schuldners vor Kontrollverlust. Diese Defizite führen bislang dazu, dass der Insolvenzantrag oft viel zu spät erfolgt und damit die Chancen für eine Sanierung schwinden. „Der archimedische Punkt der Reform ist der Anreiz zu einer früheren Antragstellung“, sagt Daniel Bergner, Geschäftsführer des Verbands Insolvenzverwalter Deutschlands (VID). Die neue Eigenverwaltung, die nur bei frühzeitigem Antrag zustande kommt, greife zentrale Ängste vieler Schuldner auf. In diesem Verfahren nach Paragraf 270 b InsO-ESUG kann der Schuldner als Belohnung für den frühen Antrag drei Monate unter einem Schutzschirm einen Sanierungsplan erarbeiten und sogar den Sachwalter – dieser entspricht dem Insolvenzverwalter – selbst mitbringen. Frühzeitiger Antrag heißt: Es liegen nur drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vor. Bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit wird das Verfahren nicht in Gang gesetzt oder wieder gestoppt. Zahlungsunfähig ist, wer nicht innerhalb von drei Wochen mindestens 90 Prozent der fälligen Forderungen begleichen kann. Das Problem: Wird der Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit bekannt, muss nur eine Bank ihre Kredite fällig stellen, damit die Grenze zur Zahlungsunfähigkeit überschritten wird. Ist das geschehen, greift das herkömmliche Insolvenzverfahren, das Planungssicherheit und Kontrollerhalt nicht garantiert. Der Schutzschirm beinhaltet nur, dass das Gericht keinen vorläufigen Verwalter einsetzt und der Schuldner weiter über sein Vermögen verfügen darf. Praktiker fordern mehr Schutz: Das Gericht soll ein Moratorium verhängen dürfen, um ein Umkippen in die Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Auch Klagen über die fehlende Planbarkeit für Gläubiger will das Gesetz berücksichtigen und nimmt sich der   Schicksalsfrage des Verfahrens an: der Bestellung des Insolvenzverwalters. Bei Verfahren bestimmter Größenordnungen hat das Gericht nun einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen. Der schlägt einen Verwalter vor, der bei Einstimmigkeit für das Insolvenzgericht bindend ist. In diesen Genuss kommen Unternehmen, die wenigstens zwei von drei Merkmale erfüllen: mindestens zwei Millionen Euro Bilanzsumme, mindestens zwei Millionen Euro Umsatz und mindestens zehn Arbeitnehmer. Jedoch hatten von den im Jahr 2010 pleitegegangenen Firmen nur 11,4 Prozent mehr als zehn Arbeitnehmer. Über zwei Drittel der Firmen machten weniger als zwei Millionen EuroUmsatz. Das Justizministerium könnte also – entgegen der bekundeten Absicht – mit der Insolvenzreform am Ende doch nur eine Minderheit und vor allem die großen Unternehmen erreichen. Zwar gibt es auch die Bestimmung, dass die Gerichte den Ausschuss auch bei kleineren Unternehmen einrichten dürfen. Freilich müssen sie es nicht – Experten erwarten deshalb bei den Richtern keine große Verhaltensänderung. Kritik regt sich auch unter den Gerichten, die die neuen Regelungen umsetzen müssen. „Diese Verfahrensweise zur Verwalterauswahl ist nicht praxistauglich“, sagt der Hamburger Insolvenzrichter Frank Frind, der im Vorstand des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte (BAKinso) sitzt. Um einen vorläufigen Gläubigerausschuss zu bilden, müsse die vom Schuldner eingereichte Gläubigerliste darauf geprüft werden, ob ihre Vertreter den vier gesetzlich vorgesehenen Gruppen angehören. Bis dann deren erstes Treffen mit dem Verwaltervorschlag protokolliert ist, könnten bis zu zehn Tage verstreichen. „In dieser Zeit würde der Betrieb quasi führungslos vor sich hin dümpeln. Die Belegschaft erhielte keinerlei Sicherheit, wohin die Reise gehen soll“, erläutert Frind. Vor allem bei großen Verfahren aber sei wichtig, schnell Klarheit darüber zu haben, wer der vorläufige Insolvenzverwalter ist. Kleinere Betriebe müssen dennoch nicht außen vor bleiben. Deren Inhaber können meist auch Privatinsolvenz anmelden. Nach Plänen von Justizministerin Leutheusser- Schnarrenberger soll die Wohlverhaltensperiode von sechs auf drei Jahre halbiert werden – damit Schuldner wieder früher am Wirtschaftsleben teilnehmen können